Was UX-Designer von Spieleentwicklern lernen können
Wie Game Design Prinzipien Digitale Produkte spannender, klarer und emotionaler machen.
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Wenn UX auf Game Design trifft
Videospiele schaffen etwas, woran viele digitale Produkte scheitern:
Sie binden Menschen über Stunden hinweg, ohne Zwang, ohne externe Motivation.
Was auf den ersten Blick nach Unterhaltung aussieht, ist in Wahrheit präzise gestaltete User Experience.
Spieleentwickler beherrschen die Kunst, komplexe Systeme intuitiv erfahrbar zu machen, Nutzer:innen in einen Zustand des „Flows“ zu bringen und Motivation über lange Zeiträume aufrechtzuerhalten.
Diese Mechanismen sind für UX-Designer hochrelevant – denn sie verfolgen dasselbe Ziel:
Ein nahtloses, verständliches und befriedigendes Nutzungserlebnis zu schaffen.
1. Onboarding: Lernen durch Erleben
Gute Spiele erklären sich selbst. Anstatt lange Handbücher oder Tutorials zu präsentieren, führen sie neue Spieler:innen behutsam durch kleine, risikoarme Situationen, in denen sie durch Handeln lernen.
In Super Mario Bros. beispielsweise werden zentrale Spielmechaniken – Springen, Ausweichen, Sammeln – in den ersten Sekunden vermittelt, ohne dass ein einziges Wort gelesen werden muss.
UX-Perspektive
Digitale Produkte profitieren von derselben Logik:
Ein Onboarding sollte es ermöglichen, das System zu begreifen, indem man es nutzt, nicht indem man es liest.
Effektive UX-Onboardings zeichnen sich durch folgende Elemente aus:
Interaktive, kontextbezogene Erklärungen statt starrer Walkthroughs
Sofortige Erfolgserlebnisse zu Beginn
„Progressive Disclosure“ – Informationen nur dann, wenn sie relevant werden
Beispielhaft zeigt dies die Notiz-App Notion, die neue Nutzer:innen direkt eigene Inhalte erstellen lässt. Das Prinzip „Learning by Doing“ wird hier elegant umgesetzt.
2. Flow statt Frustration
Der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi prägte das Konzept des Flow-Zustands – jenes Gleichgewichts zwischen Können und Herausforderung, das zu tiefer Konzentration und Zufriedenheit führt.
Spiele sind Meister darin, Flow zu erzeugen: Sie passen Schwierigkeitsgrad, Tempo und Belohnung so an, dass Spieler:innen permanent leicht gefordert, aber nie überfordert sind.
UX-Perspektive
Auch digitale Anwendungen sollten diesen Zustand fördern.
Ein gelungenes Interface berücksichtigt:
Den Erfahrungsstand der Nutzer:innen
Den passenden Grad an Komplexität
Eine schrittweise Steigerung der Anforderungen
Methoden wie Progressive Disclosure oder adaptive Interfaces ermöglichen, dass sich Produkte organisch an die Fähigkeiten ihrer Nutzer:innen anpassen.
So bleibt die Nutzung angenehm, motivierend – und frei von Überforderung.
Ein Beispiel liefert Figma: Komplexe Funktionen werden erst dann sichtbar, wenn sie tatsächlich relevant werden. Dadurch bleibt das Interface für Einsteiger:innen leicht verständlich, ohne Expert:innen zu unterfordern.
3. Feedback: Das Rückgrat jedes Erlebnisses
In Spielen ist Feedback sofort, eindeutig und oft emotional.
Ein visueller Effekt, ein kurzer Klang, ein Punktesignal – jedes Ereignis bestätigt eine Handlung und vermittelt Kontrolle.
UX-Perspektive
Auch in der Produktgestaltung ist unmittelbares Feedback zentral.
Nutzer:innen müssen spüren, dass ihre Aktionen eine Wirkung haben.
Dies lässt sich auf vielfältige Weise umsetzen:
Animationen oder Tonfeedback bei bestätigten Aktionen
Visuelle Hervorhebungen bei Erfolgen
Mikrointeraktionen, die Systemstatus und Fortschritt kommunizieren
Fehlt dieses Feedback, entsteht Unsicherheit – ein Gefühl, das den Flow zerstört.
Produkte wie Duolingo nutzen diesen Mechanismus meisterhaft: Jede richtige Antwort löst Klang, Animation und Punktevergabe aus – ein Moment mikropsychologischer Belohnung.
4. Motivation durch Fortschritt
Fast alle erfolgreichen Spiele nutzen ein klares Fortschrittssystem: Level, Erfahrungspunkte, Statusleisten.
Diese Mechanismen dienen weniger der Eitelkeit als der Orientierung – sie machen Ziele sichtbar und motivieren durch Transparenz.
UX-Perspektive
Digitale Produkte profitieren enorm von solchen Progressionsmechanismen.
Sichtbarer Fortschritt reduziert Unsicherheit und steigert Motivation.
Beispiele sind:
Fortschrittsanzeigen bei Onboardings („Schritt 3 von 5 abgeschlossen“)
Checklisten mit Belohnungseffekten („Nur noch ein Schritt bis zum Ziel“)
Visuelle Darstellung von Lern- oder Nutzungserfolgen
Der Zeigarnik-Effekt – die Tendenz des Menschen, unvollendete Aufgaben besser im Gedächtnis zu behalten – erklärt, warum Fortschrittsanzeigen so wirksam sind.
5. Emotionen und Storytelling
Spiele leben nicht nur von Mechanik, sondern von Emotion.
Sie erzählen Geschichten, erzeugen Spannung, Stolz, Frustration und Erleichterung.
Diese emotionale Dramaturgie hält Spieler:innen im Bann – und lässt sie weiterspielen.
UX-Perspektive
Auch digitale Produkte erzählen Geschichten. Jede Nutzerreise folgt einer Struktur:
Ein Einstieg voller Neugier oder Unsicherheit
Eine Phase der Herausforderung oder Orientierung
Ein Abschluss, der Klarheit und Zufriedenheit vermittelt
Durch bewusste Gestaltung dieser emotionalen Reise kann UX weit mehr leisten als reine Funktionalität.
Ein Beispiel ist Airbnb: Vom ersten Bild über die Sprache bis hin zur Abschlussnachricht („Viel Spaß auf deiner Reise“) wird eine konsistente emotionale Erzählung geboten – Vertrauen, Sicherheit und Vorfreude werden gezielt inszeniert.
6. Scheitern darf erlaubt sein
Ein zentrales Prinzip des Game Designs lautet:
Scheitern ist Teil des Spiels – nicht das Ende.
Fehler gehören zum Lernprozess, doch sie werden nie endgültig bestraft.
Das ermutigt zum Ausprobieren und fördert Resilienz.
UX-Perspektive
Digitale Anwendungen können von dieser Haltung profitieren.
Ein fehlertolerantes Design schafft Sicherheit:
Fehlermeldungen, die informieren statt verurteilen
„Undo“-Funktionen, die Angst vor Fehlern nehmen
Humorvolle oder empathische Microcopy
Bekanntes Beispiel: Mailchimp nutzt in seinen Fehlermeldungen einen humorvollen Ton, der Stress reduziert und das Gefühl von Kontrolle erhält.
7. Kleine Belohnungen, große Wirkung
Erfolgreiche Spiele belohnen nicht nur das Endziel, sondern jeden Zwischenschritt.
Diese „Micro Rewards“ – Punkte, Animationen, Sounds – erzeugen eine ständige, positive Rückkopplung.
UX-Perspektive
Auch jenseits von Gamification-Mechaniken kann diese Idee wirksam sein.
Ein Formular, das nach jedem Schritt positives Feedback gibt, oder eine App, die Fortschritt subtil visualisiert, steigert Motivation und Zufriedenheit.
Es geht dabei nicht um Spielerei, sondern um psychologische Verstärkung:
Handlungen, die sich lohnend anfühlen, werden häufiger wiederholt.
8. Soziale Motivation
Viele moderne Spiele binden soziale Komponenten ein – Rankings, Teams, gemeinsame Ziele.
Die Motivation entsteht hier nicht allein durch das System, sondern durch die Interaktion mit anderen.
UX-Perspektive
Soziale Elemente können auch in digitalen Produkten sinnvoll sein:
Fortschritte teilen oder vergleichen
Kollaboratives Arbeiten sichtbar machen
Anerkennung und Wertschätzung integrieren
Tools wie Figma oder Notion schaffen Gemeinschaft durch Echtzeit-Präsenz, Cursor-Avatare und visuelles Feedback auf Teamaktionen.
So entsteht ein Gefühl von Zugehörigkeit – ein starkes Motiv für wiederkehrende Nutzung.
Fazit: Gute UX funktioniert wie ein gutes Spiel
Am Ende verfolgen Spieleentwickler und UX-Designer dasselbe Ziel:
Ein Erlebnis zu schaffen, das verständlich, motivierend und emotional bindend ist.
Game Design liefert hierfür wertvolle Prinzipien:
Lernen durch Handeln
Dynamischer Flow
Ständiges Feedback
Sichtbarer Fortschritt
Emotionale Gestaltung
Fehlertoleranz
Positive Verstärkung
Soziale Motivation
Wenn digitale Produkte diese Mechanismen bewusst einsetzen, entsteht eine Nutzererfahrung, die nicht nach Arbeit aussieht – sondern sich anfühlt wie ein gutes Spiel: herausfordernd, belohnend und sinnvoll.
Kurzüberblick: 8 UX-Learnings aus dem Game Design
Onboarding durch Erleben statt durch Erklären
Flow – Balance zwischen Können und Herausforderung
Feedback als zentrales UX-Element
Fortschritt sichtbar machen
Emotionale Erzählung statt bloßer Funktion
Fehlerfreundlichkeit als Gestaltungsprinzip
Kleine Belohnungen für kontinuierliche Motivation
Soziale Interaktion als Treiber für Engagement