Digitale Barrierefreiheit wird Pflicht – Was das BFSG für UX bedeutet

Seit dem 28. Juni 2025 ist es offiziell: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist in Kraft. Zum ersten Mal sind nicht nur öffentliche Stellen, sondern auch Privatunternehmen verpflichtet, ihre digitalen Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten. Das Ziel: Mehr digitale Inklusion und gleichberechtigter Zugang für alle Nutzerinnen und Nutzer.

Digitalagentur | Expertin für UX | Marta
Marta Del Re  |  12.8.2025
Person im Rollstuhl arbeitet am Laptop und bedient eine Computermaus.

Worum geht’s beim BFSG?

Das Gesetz setzt die EU-Barrierefreiheitsrichtlinie in deutsches Recht um. Es betrifft insbesondere:

  • Websites & Onlineshops

  • Apps

  • digitale Endgeräte (z. B. E-Reader, Selbstbedienungsterminals)

  • Kundenschnittstellen wie Geldautomaten oder Ticketautomaten

Ausgenommen sind viele Kleinstunternehmen (unter 10 Beschäftigte), was etwa 82 % aller Firmen in Deutschland betrifft – ein Punkt, der schon jetzt kontrovers diskutiert wird.

Erste Erkenntnisse nach Inkrafttreten

  1. Großer Aufholbedarf

    Studien zeigen, dass vor Inkrafttreten nur rund 1 % der geprüften Onlineshops die Vorgaben vollständig erfüllten. Zwar haben viele Unternehmen kurzfristig nachgebessert, doch ein flächendeckend barrierefreies Angebot ist noch weit entfernt.

  2. Rechtsunsicherheit

    Unternehmen sind unsicher, wie streng die Marktüberwachung sein wird. Klar ist: Bußgelder bis 100.000 € oder gar Abschaltungen drohen bei Verstößen.

  3. Lob und Kritik

    Verbände wie „Aktion Mensch“ loben den Meilenstein für digitale Inklusion. Kritiker bemängeln, dass physische Barrieren (z. B. bei Automaten) zu wenig berücksichtigt werden und die Ausnahmeregelungen zu großzügig sind

Erste Abmahnungen – aber noch keine Welle

Seit Inkrafttreten des BFSG gab es erste Abmahnungen wegen angeblicher Verstöße – vor allem durch SEO- und Webagenturen.

Allerdings sind viele dieser Schreiben rechtlich fragwürdig, weil die Abmahner keine Mitbewerber im Sinne des Gesetzes sind und oft keine klaren Verstöße benennen.

Eine breite Abmahnwelle, wie sie bei der DSGVO zu beobachten war, ist derzeit nicht erkennbar.

Trotzdem sollten Unternehmen das Thema nicht auf die leichte Schulter nehmen: Neben Abmahnungen drohen hohe Bußgelder, Vertriebsverbote oder sogar die Einstellung von Angeboten.

Chancen für UX-Design

Das BFSG ist nicht nur eine gesetzliche Pflicht – es ist auch eine UX-Chance:

  • Bessere Nutzererfahrung: Barrierefreies Design ist oft auch klarer, konsistenter und benutzerfreundlicher für alle.

  • SEO & Reichweite: Suchmaschinen bevorzugen zugängliche Websites.

  • Neue Zielgruppen: Rund 7,8 Millionen Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland profitieren direkt – plus ältere Nutzer oder Menschen mit temporären Einschränkungen.

  • Markenimage: Inklusion wirkt positiv auf Wahrnehmung und Kundenbindung.

Handlungsempfehlungen für Unternehmen & UX-Teams

  1. Audit durchführenBarrierefreiheit prüfen (WCAG 2.1 als Grundlage).

  2. Quick Wins umsetzen – z. B. Alt-Texte, ausreichende Farbkontraste, Tastaturbedienbarkeit.

  3. User-Tests mit Betroffenen – Echte Barrieren erkennt man nur im Praxistest.

  4. Prozesse anpassen – Barrierefreiheit in Design- und Entwicklungsrichtlinien verankern.

  5. Langfristig denken – nicht nur BFSG-konform, sondern „UX-first“ gestalten.

Das BFSG ist ein Weckruf: Digitale Barrierefreiheit ist nicht mehr „nice to have“, sondern gesetzliche Pflicht – und ein klarer Wettbewerbsvorteil für Unternehmen, die UX ernst nehmen. Wer jetzt investiert, profitiert doppelt: rechtlich abgesichert und mit einer besseren, inklusiveren Nutzererfahrung.

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