Neurodesign: Was unser Gehirn wirklich schön findet

Schönheit ist kein Zufall – sie ist Neurobiologie.

Wenn wir sagen, etwas „fühlt sich einfach richtig an“, spricht nicht unser Bauch, sondern unser Gehirn. Als UX-Designer:innen gestalten wir Erlebnisse, die sich intuitiv, angenehm und vertraut anfühlen – doch selten denken wir darüber nach, warum das so ist.

Genau hier setzt Neurodesign an: das Zusammenspiel von Neurowissenschaft, Psychologie und Design.

Digitalagentur | Expertin für UX | Marta
Marta Del Re  |  5.11.2025
Designer arbeitet am Schreibtisch mit Farbmuster-Tabellen, Notizbuch und Laptop, um Farbpaletten zu vergleichen.

Was ist Neurodesign überhaupt?

Neurodesign untersucht, wie das menschliche Gehirn auf visuelle Reize reagiert – und wie Designer dieses Wissen nutzen können, um ansprechende, verständliche und erinnerungswürdige Erlebnisse zu schaffen.

Es geht nicht darum, Menschen zu manipulieren, sondern darum, Designs so zu gestalten, wie das Gehirn tatsächlich funktioniert.

Forscher wie Darren Bridger (Autor von “Neuro Design”) zeigen, dass unsere Wahrnehmung von Schönheit auf uralten, neuronalen Mechanismen basiert – etwa auf Mustern, Proportionen und Farben, die uns evolutionär vertraut sind.

Die neuronalen Prinzipien von Schönheit

  1. Muster und Symmetrie

    Unser Gehirn liebt Ordnung.

    Symmetrische Formen aktivieren das Belohnungssystem, weil sie leicht zu verarbeiten sind. In der UX bedeutet das:

    → Klare Gitter, konsistente Abstände und visuelle Balance = angenehm und „ästhetisch“.

    Doch Achtung: Zu viel Symmetrie kann steril wirken – leichte Asymmetrie erzeugt Spannung und Interesse.

  2. Farbe und Emotion

    Farben lösen messbare neuronale Reaktionen aus.

    • Rot aktiviert Aufmerksamkeit und Energie (ideal für Call-to-Actions).

    • Blau steht für Vertrauen und Sicherheit (häufig in Banken, SaaS).

    • Grün beruhigt und signalisiert Natürlichkeit (gesundheitsorientierte Apps).

      Neurodesign nutzt Farbpsychologie nicht dekorativ, sondern funktional – um Emotionen gezielt zu steuern.

  3. Kognitive Leichtigkeit

    Das Gehirn liebt alles, was wenig Denkleistung erfordert.

    Ein Design fühlt sich „gut“ an, wenn es leicht zu verarbeiten ist – das nennt man processing fluency.

    Typische Neurodesign-Taktiken:

    • Hoher Kontrast und klare Hierarchien

    • Bekannte Icons und Muster

    • Kurze, prägnante Microcopy

      → Je flüssiger die Verarbeitung, desto positiver die emotionale Bewertung.

  4. Mustererkennung & Vorhersagbarkeit

    Wir sind darauf programmiert, Vorhersagen zu treffen. Wenn ein Interface konsistent reagiert, fühlt es sich „richtig“ an.

    Bricht ein Muster (z. B. unerwartetes Verhalten eines Buttons), erzeugt das Stress.

    Neurodesign schafft also „positive Vorhersehbarkeit“ – ein Flow zwischen Erwartung und Bestätigung.

  5. Wie du Neurodesign praktisch anwendest

    • Nutze die Gestaltprinzipien bewusst – Nähe, Ähnlichkeit, Kontinuität und Geschlossenheit sind direkte Abbildungen neuronaler Wahrnehmung.

    • Arbeite mit Rhythmus statt Raster – Wiederholung und Variation erzeugen Sicherheit und Dynamik.

    • Designe für Fokusmomente – Führe das Auge mit Bewegung, Licht und Kontrast.

    • Teste Emotionen, nicht nur Klicks – Verwende z. B. biometrische Tests, Eye-Tracking oder Facial Coding, um echte Reaktionen zu verstehen.

    • Schaffe vertraute Überraschungen – 90 % Bekanntes, 10 % Neues ist oft der Sweet Spot für ästhetische Spannung.

Warum Neurodesign kein „Trickdesign“ ist

Neurodesign ist kein Werkzeug, um Menschen zu manipulieren. Es ist eine Ethik des Verständnisses – eine Möglichkeit, empathisch zu gestalten, weil man versteht, wie Menschen wirklich wahrnehmen und fühlen.

Ein Interface, das sich gut anfühlt, ist nicht zufällig gelungen – es spricht direkt die neuronalen Mechanismen unseres Gehirns an.

Fazit: Schönheit ist Funktion

Neurodesign erinnert uns daran, dass gutes Design nicht nur „funktional“ oder „ästhetisch“ ist – sondern biologisch richtig.

Wenn wir gestalten, gestalten wir letztlich für das Gehirn – nicht für den Bildschirm.

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